Passagen Verlag
Wien 2005
Fast schon Huschhusch?
Nichts ist hier oberflächlich, nichts ist „huschhusch“ hingeschrieben. Die interessante Stelle lautet nämlich: „anstelle der wasserstelle / geschlossene türen die / allen gehören / allen gehören das / ist fast schon / ist freiheit (…) das ist fast schon / huschhusch“. Es ist die dichterische Analyse eines Gemüts- und Geisteszustands, der benannt werden will, denn „leben tut weh“. Wir lesen: „die horde zeit stiebt davon“, und „alle wege verlaufen sich / wohin auch immer du reist“. – „hungrig auf alles“, das bedeutet wohl, dass nichts wirklich sättigt. Man bestellt sich also „einen großen teller wirklichkeit, mit reis. oder salat. mit salat“. Mitunter scheinen die Tatsachen keine Tatsachen mehr zu sein.
In gewisser Weise ist das Buch auch eine Suche nach der verlorenen Zeit. In dem Gedicht mit dem nüchternen Titel „vorgänge“ (eine längere Wort-Performance, die in Wien aufgeführt wurde) entwirft der Autor zwar eine (befreien oder endgültig reinen Tisch machen sollende?) Utopie vom Ende der Zeit, „ eine zeit der man / die zeit genommen hat / eine menschheitsgeschichte / der die menschen abhanden / gekommen sind“, das hält ihn nicht davon ab, Raum, Zeit und Figuren subtil sich entfalten zu lassen. Ob es der tragikomische Onkel Theo ist, oder ob wir von Leo im Künstlerheim erfahren oder von Alois, der sich für einen Vogel hält, oder ob es Ralph ist, der nichts „anbrennen“ lässt, weil oder obwohl seine Frauenbeziehungen nie länger als ein Jahr dauern. Ob von der „zwischenliese“ die Rede ist, die sich nicht gerne zwischen Umständen einzwicken lassen möchte, oder ob wir von typischen Koch – Kellnerinnen – Verhältnissen erfahren, die dem Autor geläufig sind, oder von der zerrissenen Familie, die neu kombiniert und garniert in einem Cafe zusammentrifft. Ob es um die Wirtin im Schanigarten geht, die sich laut fragt, warum sie sich noch ein drittes Kind angetan hat (Subtext: wer ist hier der Schani für wen?), oder um den Schriftsteller, der sich dem gesellschaftlichen Druck gerne entziehen würde, indem er sich unkenntlich macht, oder ob es um Jugenderinnerungen, bizarre und kritische Momente in der Beziehung von Mann und Frau geht – es wird offensichtlich, dass sich alles in Momente auflöst, fast wie in einem Theaterstück, bei dem die Schauspieler zwar nicht ihren Text vergessen, aber den roten Faden verloren haben. Die Auftretenden sind keineswegs „figuren denen man / die zeit genommen hat“, nein, sie leiden an der Zeit, die sie ratlos zurücklässt, es sind „allesamt exilanten. exilanten in den gefilden der niemandsbucht“.
Hahn schreibt keine Geschichten; es sind „textflicken“, wie er sie nennt, von denen man vermuten kann, dass sie wie Pflaster auf Wunden sind. Die Texte verfließen tatsächlich, wie der Klappentext nahe legt, in der „idylle der druckerschwärze“, denn hier sind die Dinge in ein Gleichgewicht gehoben, hinter den Worten rumort es aber gewaltig. Der Autor beherrscht virtuos die Kunst der Auslassungen. Das, was ephemer ist und deshalb im Leben nicht zählt, gewinnt im Text Bedeutung. „alles sagt etwas aus“ – „und das sammeln beginnt“. Einmal heißt es: Die anderen „finden knappe sätze, um mich zusammenzufassen.“ Gut gesagt: so kann man das Stilmittel der Knappheit auch verstehen.
„ich?wir??wer???“ heißt die Überschrift für den 3. Zyklus; sie benennt das Problem: Denn Arthur Rimbaud, der dekretierte, „Ich ist ein anderer“, konnte dazu nur kommen, weil er ein radikales Programm der Dekonditionierung und Entprogrammierung bei sich selbst vornahm. Friedrich Hahns Texte zeigen eine Welt, in der alles durchprogrammiert ist, der Mensch ist eine funktionale Größe, er lebt nicht, sondern wird gelebt. „der akteur tritt vor (…) jeder seiner schritte / vorhersehbar“. Gesteigerte Subjektivität, allenfalls totale Vermischung von innen und außen, das mag als Gegengift gut wirken. Und die wie nebenbei hingeworfenen Fragen sind absolut nicht deplaziert: „was ist das denn / aus kleinsten vorkommnissen ahnung ziehen“?. Oder: „wo, also, strickt nun das heilige“?
Gerwalt Brandl