Orge Georwell. Aufzeichnungen aus 2001 Nacht. Protokoll der laufenden Ereignisse.
Hrsg. Roland Ranach und Bruno Gitterle
EYE Verlag für die Literatur der Wenigerheiten
Landeck 2010
Nachdem George Orwell das 20. Jahrhundert schon 1948 zur Gänze beschrieben hatte, ist es nun hoch an der Zeit, das 21. unter die Lupe zu nehmen: Orge Georwell liefert uns nun Aus- und Einblicke in eine Zeit, die in „Achterl“, „Neunerl“, „Sekund“ und „Grad“ gemessen wird und in der die Menschen sich den Boden unter den Füßen schon sehr heiß gemacht haben. Ein dichtes, sprachlich opulentes Werk, ja ein Text-Raum-Schiff begegnet den LeserInnen da, in dem um die Anfangsinitialen der Kapitel die Blasen blubbern, eine Art Computerstimme aus dem Off mit Namen „automatische Textanalyse“ immer wieder Korrekturkommandos gibt und Ex-Nobelpreisträger John „Joe“ Downland die Stellung hält und Stellung bezieht zum aufhaltsamen Klimawandel und weiteren Katastrophen, die heute schon ständig unter den Teppich gekehrt werden, bis der Teppich einmal platzt.
„Arche 2“, so heißt sein Schiff und die Aufzeichnungen sind das seismographische Logbuch, keine Dorf-, sondern eine Global Village-Chronik, ein Tagebuch der letzten Tage, in dem unter anderem von Darwins langem Bart zu erfahren ist oder von Papst Theophil 2, der den heiligen Stuhl durch einen einfachen Sessel austauscht und der Brenner-Basistunnel als mehrröhriges Nord-Süd-Fließband präsentiert wird. „Begriffe wie Treibhauseffekt, saurer Regen oder Ozonloch scheinen aus dem Fachvokabular der Klimatologen verschwunden“, heißt es an einer Stelle und diesem Verschwinden(-lassen) der Wörter oder Ersetzen durch Behaglichkeit suggerierende wie global dimming bei gleichzeitig zunehmendem Auftauchen der Denotate wird nostradamisch seherisch und hintergründig humorig nach- und vorausgespürt.
Angereichert ist der Band mit Bildern von Claudia Dekassian, Siegbert Haas, G. Kuni, Gerald Kurdoğlu Nitsche, Alois Lang und Konny Ransbach, Kadir Nakipler, Erkan Nazlı, Christof Nitsche, Atila Özer, Gerd Pircher, Eva Maria Walch (Initialen, Vignetten) und Renate Weber (Scherenschnitte). Sie alle verleihen den Textflüssen adäquaten bildnerischen Ausdruck, wenn etwa der Müllberg als Bombe ins Bild gesetzt wird, die der Welt auf den Kopf fällt (Atila Özer) oder der Nordturm des Wiener Stephansdoms im Sinne interreligiöser Verständigung weitergebaut wird, nämlich als Minarett (Gerald Kurdoğlu Nitsche, Claudia Dekassian). Wem das Wort Klimawandel zu verhüllend ist und zu sehr nach Verwandlung und Veränderung vom Schlechteren zum Besseren klingt, ist bei diesem wunderbaren Buch mit an Bord – die anderen mögen an Bord kommen.
Günter Vallaster
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