Milena Verlag
Wien 2004
Poesie und Vernichtung
Der Text besteht aus zwei Teilen, der erste, längere, ist wiederum zweigeteilt: Auf den jeweils linken Seiten findet sich das Thema von Krieg und Vernichtung durch Katastrophen, auf den rechten Seiten liest man über privates Schicksal, innere Prozesse, Freude, Unglück, meist sind es ambivalente Kindheitserlebnisse. Diese beiden Parameter, das Gesellschaftliche und das Private, sind einander gegenübergestellt; bei der Lektüre wird klar, was beide Seiten verbindet: Es ist die Problematik der BILDER, die uns die Welt verständlich machen, aber auch, wie angedeutet wird, trennend zwischen uns und der Welt stehen. In diesem Buch sind die Worte erklärtermaßen Bilder. Die Poesie stellt sich den Gräueln der Medien entgegen, sie soll den Sieg davon tragen, dies ist das schon auf dem Vorblatt angekündigte Programm. Das letzte Drittel des Buches trägt die Überschrift “Weißes Rauschen”. Und das Thema dieser Seiten ist zweifellos die Verwandlung der Welt durch Poesie. Innen und außen verschmelzen miteinander, etwas, das schon im Hauptteil des Buches anklingt.
Der Krieg und die Katastrophen. Die Autorin lässt keinen Zweifel daran, WIE wir partizipieren am gräulichen durchs Fernsehen vermittelten Geschehen (Bombardierung, Verstümmelung, Vergewaltigung, Deportation, Massenerschießungen, Liquidierung, Folter und Flucht etc.). Wir sind die Voyeure, alles ist ganz realistisch. “Wir sind der Applaus … Wir sind das Echo der Lichtkegel und Brandfackeln, der Explosionsblitze und Leuchtfeuer. Das Echo der Schreie. Der Kopflosen und der Geköpften. Der Körperlosen, wir sind das Publikum im Naturkino. Todeskino. Sind wir”. Die letzten drei Worte des Zitates muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, wenn man die Intention der Autorin verstehen will. Dann spürt man den mehr als bitteren Geschmack, den diese Lektüre hervorruft. Sie enthüllt das Dilemma, das wir kennen. Die Bilder des Fernsehens schaffen eine Identifizierung, die nicht auszuhalten ist. Das Gefühl kippt, und wir realisieren, vor dem Fernseher sitzend, dass wir leben; wir nämlich sind die Überlebenden! Die “klammheimliche Freude an der ästhetisch inszenierten Katastrophe.” Und das alles ist, wenn man dem Text folgt, keine zufällige Verkettung von Umständen. Nein, es hat Methode. Die mächtigen Kriegsführenden verwerten den Krieg medial, sie “fliegen, filmen und steuern”. Die Vertriebenen gehen “in der Hitze der Blitzaufnahmen”. Filmischer Jargon, wie “harter Schnitt”, “ausblenden”, wird auf das Geschehen übertragen. Der harte Schnitt ist der Filmschnitt und also zugleich der Schnitt, der die Toten von den Lebenden trennt. Der Text gibt zu verstehen, dass wir als Zuseher des Grauens die Opfer im Stich lassen. Die Medien berichten nicht nur über die Schlachtfelder der Welt, sondern sie bringen sie in gewissem Sinne hervor. Wie auch immer man dazu steht und ob man es ertragen kann: in unserer vernetzten Welt hat dies zweifellos Logik.
Es gibt keine heile Welt, wenn man die privaten Gegenstücke jeweils auf den ungeraden Seiten des Buches liest. “Über dieser Stadt der große Himmel, ich schneide ihn nicht aus, nicht aus, eine solche schwarze Sprache ist kein Grund zum Atmen”. Doch positive Augenblicke halten dem Schrecken der Kindheit manchmal die Waage. “Es liegt eine Sonne im Schatten der Welt. Dort wurzeln die Sträucher noch tiefer als sonst. Sie wachsen wie Bilder und stehen als Freude im Licht.” Wir lesen von Frauen und Kindern, “die Körbe auf den Köpfen tragen mit Äpfeln rot wie Schnee…” Es wird angedeutet, dass diese Bilderwelt kompensatorisch ist, dass die Phantasie zu blühen beginnt, wenn das Unglück überhand nimmt. Das Kind trägt die “Einbildung von Bienen und jederzeit Honig” in sich. Dann aber genießt es oft nur ein “Scherbenglück”. Immer wieder spricht der Text vom Dilemma dieses Bilderglücks. Die Bilder potenzieren den Schrecken UND die Freuden. Und sie haben die Tendenz, sich in nichts aufzulösen oder überzugehen in weißes Licht. Das Sehen erreicht den blinden Fleck. Aber das ist keine Niederlage. Die Autorin erinnert sich daran, dass sie als Kind mit einem Stift ohne Spitze “weiß auf weiß und ohne Ziel” zeichnete. Und sagt: “Dort dann kann ich sein.” Damit ist der unbestimmten Ort bezeichnet, wohin die Autorin fragt und ruft und woher sie auch Antwort erhält. Es ist ein privat mythologischer Ort, Traum und Kindheit, nicht ohne eine Ahnung des Todes, aber er ist die “Quelle” des Lebens. Im letzten Teil des Buches werden wir davon mehr erfahren. Es ist ein schwieriger Übergang. Denn zugleich ist dies der Ort der Auflösung der Gegensätze, wo das Bezeichnete und das Bezeichnende, Subjekt und Objekt, miteinander verschmelzen, es ist die Zeit der Synästhesien und wunderbaren Paradoxien. Die Qualität des Textes besteht darin, dass er nie philosophisch wird, sondern immer anschaulich bleibt. In diesem Buch gibt es wunderbare Sätze: “Eines Tages verließ ich das Zimmer, aber als Wald. Oder als Tag verließ ich den Wald und war Zimmer. Die Bäume standen am Weg und häuften ihr Lächeln, diese freundliche Abwesenheit des Sturms.” – “Unter meinen Füßen die Erde wie gegipste Sätze oder Textstücke plötzlich plötzlich sehe ich überall.” – “Als Echo Stundenbuch Blau, sei es auch noch so durchsichtig”. Der Autorin gelingt es, das Unsichtbare zu vermitteln durch die poetische Struktur der Sätze und Satzabfolgen. Die Wortwiederholungen im Satz z.B. markieren das Schwinden chronologischer Zeit.
Der Text ist nicht umfangreich, aber gewichtig und prägnant. Die Sätze manchmal bis zum äußersten komprimiert, mitunter durchaus riskant. Leserin und Leser müssen selbst urteilen, ob das Programm aufgegangen ist. Kann die Poesie die Grässlichkeiten der Welt aufwiegen, kann sie Gegengewicht sein zur globalen Bilderhitzung und Bilderschwemme? Jedenfalls ist es das Verdienst dieses Buches, die Konfrontation nicht gescheut zu haben. Und das Verdienst von Petra Ganglbauer, etwas geschrieben zu haben, das unter die Haut geht.
Gerwalt Brandl