Lyrik der Gegenwart
Edition Art Science
Wien 2013
Dass Landschaft etwas mit seinem Bewohner, seiner Bewohnerin macht, zeigt der neue Lyrikband von Petra Ganglbauer. In „Ringhörig“ sammelt sich Lyrik, welche aufgrund eines HALMA Stipendiums in Irland und Bulgarien (2010) sowie eines Aufenthalts in Sizilien (2012) entstanden ist. „Ringhörig“, hellhörig, ringhörig/hellhörig zu sein, ist Programm in diesem Band: Analog zu Ringvorlesungen an Universitäten, an denen sich verschiedene Dozenten verschiedener Fachbereiche zu einem bestimmten Thema äußern, erhalten hier verschiedene Landschaften durch eine einzige Autorin ihre Ausdrucksmöglichkeit. Durch das ringförmige Aneinanderreihen der poetischen Weltspiegelungen entsteht die Möglichkeit, der Vielfalt der entstehenden Eindrücke in kreisender Beobachtung näher zu kommen. Es entwickelt sich sozusagen eine Stimmenversammlung (wobei die inneren und äußeren, vielleicht auch die feinstofflichen, sowie auch die gegenwärtigen und vergangenen Stimmen gemeint sind) zu einem bestimmten Themenkomplex. Das Subjekt, in verschiedene Landschaften gestellt, nimmt den Ton der jeweiligen Umgebung auf, lässt die Eindrücke einwirken, um sie – in Sprache übersetzt – auszuloten und den gewonnen Eindruck poetisch zu formulieren.
Das Buch besteht aus drei Zyklen. Die Irland-Gedichte „ALL IRELAND DANCING FEET“ evozieren Wildheit und Auflösung in einem: Von gefetztem Glück (9) ist die Rede, von scharfer Luft, blindem Schlittern (15) und springenden Sätzen (22) zum einen, zum anderen begegnet uns die wässrige Inselauflösung im zerregneten Gesichtersims (9), im Mond, in dessen Wasser gelesen wird (16), die Autorin schreibt von der Ichfernen Zone und thematisiert Schreiben und Sprachsetzung als Forsten, Suchen und bis an die Grenze gehen (20, 21, 22) bis zum Durchstich.
Mit „Steinerner Subtext“ ist der Bulgarien-Zyklus übertitelt, Wortsetzungen werden zu unverrückbaren Sprachbildern, die mit/in dieser anderen Landschaft eine neue Dynamik entwickeln, fern der wasserluftigen Inselvermessung der vorangehenden Lyrik-Kontemplation.
Fünf Gedichte beinhaltet das sizilianische Kapitel „Katastrophales Vergessen“. Ohne zu benennen, dominiert der Aetna, die Kraft seiner Lavamassen: „Die Leidenschaft drängt den/Berggeschmack ins Meer:/ Heiße Fußnoten umspült und verdeckt/…“ (82), der Schrecken, das Erschrecken, das der Insel innewohnt. Ein katastrophales Vergessen, das der Vulkan mit seinem Aschengeheimnis bereitet hat (82). Es wäre auch ein katastrophales Vergessen, auf diese früheren Katastrophen, die unweigerlich als Drohung in die Zukunft reichen, zu vergessen. Die Kraft des Berges schlägt sich nieder im Wort, rast in das Sprachbild, die Sprache erhält eine Eigendynamik, wird Poesiefluss, „Blitzzeichen, Kapazunder und springende Disteln“ (84). Erinnerung an eine Urweltkulisse wird evoziert.
Petra Ganglbauer lotet den Wirkungskreis der Sprache im Spiegel der Natur, der Elemente, des Wassers – und wie im letzten Zyklus – des Feuers aus und versucht, eine andere Sprache zu finden, um herkömmlichen Beschreibungen zu entgehen. Dadurch entsteht ein Energiefeld, das Raum lässt für die Beziehung von inner- und außersprachlicher Wirklichkeit, von existenziellen und innerseelischen Prozessen. Petra Ganglbauers Lyrik ist ringhörig, die hellhörig macht: Ein Kreisen um den innersten Kern der Sprache, ja um Existenz überhaupt. Lyrik, die in Erinnerung bleibt.
Gewidmet hat die Autorin diesen Gedichtband all jenen, die sie bis jetzt begleitet und in ihrer Arbeit unterstützt haben – ringhörig auch dies.
Erika Kronabitter