Walter W. Hölbling: Gemischter Satz

Gedichte #13

Gangan Verlag
Stattegg 2019

Gemischter-Satz-Cover-U1

„leben – dunkles – lieben – natur – reisen – welt – worte“

7 Abteilungen. Prosagedichte. Hauptsächlich. Voller Zartheit, Vorsicht, Aufmerksamkeit und Zärtlichkeit. Und voll von Weltliebe.

  1. Das Drehen der Dinge in den Händen. Der Abstand in „die welt wird langsamer“ – das Altern. Ein genaues Hinsehen und treffende Bilder wie dieses: „hauchdünne nebelschleier schieben sich/milchzart/zwischen die dinge und mein wollen“. Das hat an sich nichts mit dem Altern zu tun und kennzeichnet dennoch eine Art, sich langsam aus der Welt zu verabschieden. Die „kanten der objekte/werden stumpf und weich“. Es ist (auch) ein Absterben: „worte gerinnen zu abstrakter starre/ in der die dinge ewig unverändert bleiben“, ja, es ist „ein todesahnen/das mir am nacken tastet/und mich für eine weile/des trosts der ständigen veränderung beraubt“. Das Leben entfernt sich „mit weiten schritten“ und „die küchenuhr tickt lauter als gewohnt“ – ein Memento Mori, das „die zeit/von hier bis zu den sternen“ misst. Aber so ist er eben, der ewig gleiche Gang der Zeit. Das Leben ist kurz, die „schleier meiner kurzen ewigkeit“ werden „sanft und bestimmt“ „in die vergangenheit“ geschoben.
    Dieses erste ist ein wunderschönes Gedicht, das den ganzen Gedichtband von Walter Hölbling einleitet – eine ausgezeichnete Einleitung, die das Ganze des Buchs im Voraus umreißt und umfängt. Es leitet zugleich auch den ersten Teil der Gedichtsammlung ein, weise Worte, abgeklärte, übers Leben, über das Leben und den Tod, über Kindheit, Erwachsenwerden, Liebe, Zusammenleben und Scheitern an Beziehungen, Schwierigkeiten in Familienleben und Alltag, oft auch humorvoll, ein wenig an den Stil Eugen Roths erinnernd: „tochter erweist sich als ergebene mutter/vater brät sehr gekonnt den fisch in butter“ – Hölbling macht sogar selbst im Buch auf Parallelen zu Roth aufmerksam, wie zum Beispiel in „lebenswitz“ (Seite 21). Und als (Alters)Weisheit lassen sich Gedichte wie „geborgenheit der täglichen monotonie“ (Seite 17) lesen.
  2. In „dunkles“ geht es um Themen wie Abend (des Lebens), um Alter und Tod, Schatten, Trauer, und da wird es beizeiten bitter, findet sich kein Trost mehr: „im dunkeln der gedanken/verbergen schluchten sich/von bitterem asphalt“. Splitter, Kälte, Eis, Stürme, ein Verstummen, ein eisiges Schweigen, ein Erstarren nimmt Platz – viele Metaphern, die mit Jahreszeiten zu tun haben.
  3. „lieben“ hingegen, da kommen Erinnerungen hoch, die Liebe ist aber kosmisch gemeint. Ewigkeit, Strahlen, ekstatische Explosionen, Traumland, Verzaubertsein, Sehnsucht, die die Ruhe stört und scharfe „dornenranken/tief in meiner seele wände“ gräbt, dabei ist es, wäre es – „so einfach“…
  4. „natur“ – „frühling“: Das sind Assoziationsbilder zur Mutter, während „herbst“ auf einen Winter (Vater?) hinweist und auf ein Schwachwerden und Vergehen der Menschen. „natur“ und ich – sehr schöne Bilder, vom Wind als Freund, dem Regen als Lover, der Sonne als Bruder, dem Mond als ein „anderes“, Verzaubertes, – und wieder eine Metapher vom Gehen, Weitergehen, Vergehen. Als eine Aufforderung zum genaueren Hinsehen, aufmerksameren Schauen lese ich „sommerabend“: „die schönheit der natur/verschwindet oft in den gesprächen/wird zum bloß angenehmen hintergrund/der uns die zunge löst“… Ähnlich: „unsere welt“: „täglich auf jagd nach lügen daten quoten/terminen konferenzen autobussen/vergessen viele auf die welt/die uns all dies erlaubt zu tun“. Hölblings Wintergedichte scheinen mir überhaupt als Mahnung gedacht zu sein, als Nachdenk-Impulse.
  5. „reisen“ berichtet von Plätzen, die etwas ausgelöst haben, Erinnerungen, die hochkommen bei Orten wie Cividale, Cormons, Duino, Triest, Spilimbergo – viel Italienisches also taucht auf, das Friaul, und nur ein einziges Mal, aber das darf nicht fehlen, sogar ein klein wenig aus seiner zweiten Heimat Amerika, „kentucky fried chicken“, – mit einem Augenzwinkern. „die fremden“, „fremd“ – das Nachdenken bleibt jedenfalls nicht aus „über den dingen“.
  6. „welt“, da wird viel nachgedacht und vieles angezweifelt, da gibt es durchaus auch mal Elemente von Wut und Verzweiflung wie in „aus dem lot“: „man wird darob äußerst ergrimmt“, „es läuft“ eben „eine sehr dünne linie/zwischen nachrichten und machtrichten“, und es gibt Aufforderungen zum „besseren Leben“ wie in „blickwinkel“: „betrachte die welt/ mit den augen der liebenden/ nicht der jäger“ und das mahnende „denk an die kinder“. Es handelt sich ganz eindeutig um „dichtung in zeiten der flüchtenden“, schwierige Zeiten eben, und „heimat?“ mit Fragezeichen, eine „schande der welt“, „wenn es eine lüge ist, zu reden,/ und eine andere, zu schweigen/ nicht einfach“. Dieses Kapitel ist übrigens mit Abstand das umfangreichste, hier finden sich 25 Gedichte.
  7. „worte“, Nachdenken übers Schreiben, übers Dichten – auch ironisch, gleich im ersten Gedicht dieses Kapitels „dichterleben“ – sehr witzig übrigens! Also lustig im Sinn von geistreich. Ernster dann schon „dichterworte“. Es sind eben „feuerzeichen“, die gegeben werden sollen, – das Wort als Schwert. Experimentelles aber auch, das Spiel mit Worten in der „seinswelt“, immer aber auch die Kostbarkeit von Sprache, der Muttersprache in „sprache“. Und dann das Gelegenheitsgedicht, „strahlend schön“, und das Gedicht „traumfliegen“, das an das im Buch enthaltene Bild von Ichikawa erinnert oder vielleicht auch davon inspiriert ist. Der Vergleich von Sprechen und Singen mit  Fliegen – sehr beeindruckend! Und dann wie Sand, wie Wind, zerstreut, verflogen… eine „welt ohne mich“. Was da alles passieren kann, Naturmetaphern in der Sprache, eine Konklusio des ganzen Bandes: „wortvorhänge“ und „wortwelten“. Was bleibt? Eine „verzweifelte zwiebel“ – wie in der berühmten Peer Gynt Metapher. Nichts bleibt, vielleicht Tränen… und ein Bild von Ruth Mateus Berr…

Bilder von befreundeten Künstlerinnen, – Hölbling hat ausschließlich Frauen für die bildnerische Ausstattung seines Buches erwählt, – machen das Buch nicht nur zu einem edlen, sondern auch zu einem schönen: Beate Landen („flower of loss“, „orchid blossoms“, „herbst“), Yuko Ichikawa („traumfliegen“, „the brilliance“), Herta Tinchon („some music“) und Waltraud Mohoric („world“) markieren jeden neuen Themenabschnitt  und ihre Bilder, meist Aquarelle, durchziehen das Buch wie Traumfänger, Nebelschwaden. Als würde dieses lyrische Element, diese Farbigkeit, Naturverbundenheit, kreatürliche Allverbundenheit ihm besser passen zu den in diesem wunderbaren Lyrikband angeschlagenen weichen, sanften Tönen. Da kommt keiner mit der Peitsche daher, da baut keiner artifizielle Gebäude, da wird organisch und aus Situationen, Landschaften, Stimmungen und Wetter heraus im wahrsten Sinn des Wortes „gedichtet“.

Danke, Walter – ein zartes, schönes, gehaltvolles, sehr lyrisches Buch!

Andrea Wolfmayr

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