Milena Verlag
Wien 2006
Eine Skizze voll Abschied
Das Buch ist mehrschichtig komponiert, verschiedene Stimmen repräsentieren unterschiedliche Instanzen. Die Angelpunkte des Buches sind einerseits etwa 40 Texte, die sich wie PR-Texte lesen, allerdings satirisch überspitzt, eigentlich auf eine teuflische Spitze getrieben, es geht um die höchste Lust und Erfüllung aller irdischen Wünsche, zugleich um Auslöschung, Vernichtung. Als Abgesang und Schlusskapitel und Kontrast stehen 17 Texte, die man als Resurrektion menschlichen Lebens empfinden und lesen kann. Hier ist der Mensch in Kontakt mit sich selbst: Augen und Ohren (die Autorin nennt das Schlusskapitel folgerichtig „Augentexte Ohrentexte“) verhelfen dem Menschen zur Wahrnehmung, d.h. zu einer ihm gemäßen Wahrheit. Im Gegensatz dazu ist der Mensch in den 40 kursiv gesetzten Texten fremdbestimmt und manipuliert, man kann aber auch sagen: unter dem Diktat seiner eigenen Gier nach immer neuen Dingen, Glück, Genuss, Sicherheit, Erfüllung etc.
Diese Texte kann man als Einführung in die Hölle lesen, die besonders dadurch gekennzeichnet ist, dass die Wahrheit verdreht wird: Nicht der Himmel wartet nämlich, sondern die Hölle. Das Höllische besteht im Hohn, der über die Verdammten ausgegossen wird. Die poetische Montage- und Überspitzungskunst der Autorin erzeugt eine doppelt codierte Botschaft, die den hoffnungslos Festsitzenden einerseits die grausame Wahrheit nicht vorenthält, ihnen anderseits aber vorgaukelt, dass sie nicht nur gerettet werden, sondern in Saus und Braus leben können. „Sichern Sie sich Ihr Weekend-Haus dort, wo keine schmutzige Bombe abgeht. Immer ein Haus weiter. Schon einen Block daneben kommt man mit dem Schrecken davon. Die Bombe sucht nur die Dummen. Be clever!“ Persönlich und höflich werden die Verdammten angesprochen, und “der Teufel“ baut auf ihren erhärteten Glauben, dass alles käuflich ist und erworben werden kann, wenn man es sich nur rechtzeitig sichert, oder sich „versichert“, z.B. gegen Black-out und Lawinen. Wer wirklich clever ist, lässt uns der Teufel wissen, betrügt Teile von sich selbst mit anderen Teilen von sich selbst: „Heizen Sie Ihrem Body ein, beginnen Sie ein neues Verhältnis mit Ihrem Po. Betrügen Sie damit Ihre Hüften!“ Die Angebote sind Endlösungen: „Wir trainieren das optimierte, optimale multifunktionale Programm: Am Ende sind wir nicht mehr da, so jung sind wir (…) Null. Nichts. Jünger geht es nicht mehr!“ Das ist bitterste Satire, die ein aufkommendes Lachen sofort erstickt. Der Archetypus der Hölle ist so sehr beschworen, dass man eher weinen möchte. Denn was ist die Hölle? Dass man sich den Tod wünscht vor Pein. Aber in einer perversen Verdrehung heißt es u.a.: „Es lebe der Tod. Aber nicht für Sie!“.
Interessiert hat mich das Skizzenhafte des Buches. Einmal kann man lesen: „Eine Skizze voll Abschied“. Es fällt auf, dass der Text vielfach im Schwinden begriffen ist. Es ist eklatant, dass der Hauptteil, der eigentliche poetische Einfall, eine groteske Übersteigerung der Symptome gegenwärtigen Konsum- und zivilisatorischen Größenwahns, ausformuliert ist, während andere Teile fragmentarisch bleiben. Für die Abschnitte DOs und DON’Ts findet die Autorin 15 magere Zeilen, die Kategorie der in Großbuchstaben präsentierten WIR-Texte, die man als Stimmen aus einem Schatten- oder Totenreich begreifen könnte, ist mit gerade 6 Beispielen vertreten, und die prägnanten Einschübe, „Ort, wie ist dein Name“, „Lärm, wie ist dein Name“, Sprache, wie ist dein Name“, sind Sparvarianten, wobei ich mich aufgrund des brisanten Themas frage, warum nicht auch Schrecken, Bild, Gott, Baum oder Schatten z.B. auch nach ihrem Namen gefragt werden. Ich habe keine Theorie der Skizze zur Hand. Aus einer Eingebung heraus habe ich im Internet geforscht (gegoogelt), und unter DOs und DON’Ts eine Fülle von Texten gefunden. Früher hat uns der Katechismus gesagt, was wir tun sollen und was wir zu lassen haben, jetzt sagen uns das die Manager und Werbestrategen. Sie haben das Sagen. Sie penetrieren uns mit ihren Texten. Die Belletristik kämpft gegen die anderen Bilder und Texte. Vielleicht wartet der Himmel, wenn wir die Hölle entschlossen verlassen. Wer sind wir? Sind wir noch ansprechbar?
Gerwalt Brandl