Peter Giacomuzzi: mannfrau

Prosa

Gangan Verlag
Sydney 1999 und Stattegg 2019

giacomuzzi-cover-U1Mit Peter Giacomuzzis „mannfrau“ legt der Gangan Verlag nach zwanzig Jahren eine Prosa wieder auf, die 1999 als e-book bei Gangan erschienen war und 2010 von der Zirler Edition BAES unter dem Titel „frann“ nachgedruckt wurde. „mann“, „frau“ und „mannfrau“ – das sind die drei Kapitel der so genannten „novela“. Abwechselnd wird hier aus der „er“- bzw. „sie“- und „ich“- Perspektive erzählt, was zu einer komplexen Verschränkung der schwer fassbaren Figuren im Kopf des Lesers/der Leserin führt.

Der Ort, an dem sich die erzählende Stimme von „mann“ aufhält, ist ein Gasthaus, die Zeit unbestimmt. „eigentlich müsste ich schon längst krepiert sein, eigentlich bin ich schon lange zugrunde gegangen.“ Was diese Figur von sich gibt, ist eine verbal-aggressive Attacke gegen den Zustand der Welt. In seinem Räsonnieren erscheint die Familie als trostlos, sie gibt keinen Halt, alles ist ein Gegeneinander der Geschlechter. „mann und frau, das ging nicht mehr zusammen.“ Die Arbeit ist unbefriedigend und bedeutungslos, der tägliche Gang ins Gasthaus eine lustlose Gewohnheit. Unbemerkt von den anderen löst sich dieses „ich“ / „er“ auf, „fließt“ zu Boden. „die gedanken existierten alleine, die sprache ohne worte, das fleisch ohne formen.“ Diese Figur fühlt sich nicht. Und langsam wird klar: Es ist ein alltägliches Leben, das sich schonungslos ausspricht, mitsamt dem Ekel daran, der sich wortreich und grauslich artikuliert. Mit dieser Figur des Mannes kotzt sich einer gründlich aus. „arbeiten war sein einziger zweck, arbeiten und am abend in die gaststätte gehen.“ Nur das Körperliche gilt ihm als Lebensäußerung. Als seine Frau stirbt, geht er kotzen, um sich zu spüren. Dass sie so einfach eines Morgens tot im Bett gelegen hat, verzeiht er ihr nicht. Eine namenlose, prototypische Allerweltsfigur beleuchtet ihr geheimnisloses Allerweltsschicksal, in dem nichts von Bedeutung geschieht und alles, was geschieht, von der Fadesse der Wiederholung affiziert ist.

Im Kapitel „frau“ destilliert sich aus der kunstvollen Verschränkung der Perspektiven eine weibliche Figur, die einfühlsamer erzählt wird. Diese Frau ist eine Gestalt mit einem ausgeprägten Bewusstsein ihrer selbst, das sie zu den Dingen, Ideen, Wünschen und ihren Vorstellungen in eine Beziehung treten lässt. Sie besitzt Erinnerungen an glückliche Momente ihrer Kindheit, die sie ebenso prägen wie ihre späteren Aufsässigkeiten, und einen Gestaltungswillen, mit dem sie den Dingen um sich herum das ihr gemäße Aussehen verleiht. Es ist bei allem, was sie tut, ein gewisser Experimentalcharakter am Werk, mit dem sie durchs Leben geht. Ohne Vorbehalte, immer rein in die Herrenwelt, schonungsloses Erfahrungmachen, und auch immer gleich wieder weg. Von Ehe und Scheidung erfährt man in einem Satz, scheinbar Bagatellen in ihrem Leben. Diese Frau ist neugierig, ja gierig aufs Leben. „ihre wohnung war sie selbst, und niemand war jemals bis hierher gedrungen. kein telefon, keine adresse, kein briefkasten.“ Namenlos auch sie.

Im dritten Kapitel, „mannfrau“, der Synthese aus „frau“ und „mann“, werden der Mann und die Frau zusammengeführt: Sie finden sich anfangs zu einer belanglosen sexuellen Aktion zusammen. Aus einer Begegnung sexualisierter Körper entsteht die Beziehung zweier Zerflossener, Aufgelöster, die mehrere Leben hinter sich haben. In weiteren Begegnungen der beiden kommt es zu Verletzungen, Erwachsenenspielen zwischen Verliebtheit und der Sucht nach Erniedrigung des anderen. „sie trafen sich, wie alle liebespaare mit erfahrung sich treffen. wie raubtiere, die um die gegenseitige gefährlichkeit bestens informiert sind. offen, selbstsicher, nur keine blößen zeigen, die alle weiteren schritte in eine ungewünschte richtung gelenkt hätten.“ Zum Ende hin wird dieses Verhältnis sehr subtil herausgearbeitet. Gut beobachtet, gut geschrieben, gut gedacht von Peter Giacomuzzi. Ein Text, der sein Alter nicht verrät.

Florian Braitenthaller

LiLiT. Literarisches Leben in Tirol, Rezensionen 2010

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