Petra Ganglbauer: Glöckchen

Nachtprogramm
Mit Zeichnungen von Gerda Sengstbratl

edition – das fröhliche wohnzimmer
Wien 2005

Runderleuchtet die Welt mit Neusprache

„Narrativ geflüstert, Wortflattertanz, schweigt sie drohend und mundvoll und runderleuchtet die Welt mit Neusprache.“ Was hier am Ende der Göttin zugeschrieben wird, könnte der Autorin gutgeschrieben werden. Denn Petra Ganglbauer erzählt uns die Geschichten von den Göttinnen nicht neu, sondern kreiert einen sprachlichen Mythos, sie macht kein Hehl daraus, dass ihre Texte auf einer „Eigendynamik der Sprache“ beruhen. Die Sprache zeigt sich uns als Schöpfung. Und Schöpfung ist nichts anderes als ein Projekt im virtuellen Raum, und die Ganzheit der Sprache ist eine Utopie, die durch diese Texte angedeutet wird. Kein Zweifel, dass die Überblendung in die Gegenwart gelungen ist, wenn man liest: „Sie schiebt den Karren mit entlaubten Leibern, sie bringt den Krieg nach Hause mit Blumen. Sie schiebt die Erinnerungsbilder, auch Lumpen, hin und zurück. Die liegenden Körper lauschen mit abgeschnittenen Ohren den Lippenstiftbombern.“ „Literarisches Morphing“ nennt die Autorin ihre Methode der inhaltlichen und formalen Verschränkung aus Vergangenheit und Gegenwart. Das Buch, das keine Seitenzahlen hat und also zum Verirren einlädt (denn was soll im Labyrinth von Raum und Zeit noch gezählt werden?), besticht durch „Nichtordnung“. Die Sprache allein ist Ordnungsprinzip, der Text ein vielschichtiges Gewebe. Erstaunlich, wie die vormalige mythische Erzählung hier einen Paralleltext erhält, der zauberisch wirkt, zugleich fragil. Die Göttinnen allesamt, – früher noch hatten sie ihre Namen, die hier nur mehr am Rande erwähnt werden, – verflüchtigen sich zu Figuren, die depersonalisiert ineinander übergehen. Das Scheinbare/Imaginäre wird zurückverwandelt in das Reale der Prosa. Ein „Projekt“ nennt die Autorin ihr Buch, das in sich geschlossen wirkt, durchgearbeitet und trotzdem fragmentarisch. Das, was in der Welt erscheinen kann, erscheint, das andere bleibt im Dunkeln. Das Thema ist das Unausgeführte und Nur-Angedeutete, denn die Gottheit zeigt und entzieht sich im Mythos (der Sprache). Die Zeichnungen von Gerda Sengstbratl sind reduktionistisch, selbstverliebt und ehrlich, Kompositionen aus lächelnden Linien. Eine der Göttinnen wird die „vielfältige Im-Kreis-Lächlerin“ genannt. Und von einer anderen heißt es: „Sie aber sitzt, sie aber in gleichgültigen Kleidern reinster Wäsche ohne Namen.“ Mit sich selbst identisch, gleichzeitig aber auch von sich selbst verschieden. Der Rezensent fühlt in sich ein großes Ausrufezeichen.

Gerwalt Brandl

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