Petra Ganglbauer: Permafrost

Prosa

mitter verlag
Wels 2011

Zum ersten Teil des Buches, DIE RÜCKSEITE:

Die irdische Zivilisation pflanzt sich wie ein Krebsgeschwür weiter fort, das Geschäft geht weiter, und alles kann im Cyberraum erlebt und simuliert werden; wir selbst sind vielleicht nur eine Simulation – und der Untergang wird probeweise und widersprüchlich ins Bewusstsein gespült: Fragmente einer Katastrophe, über weite Strecken ein flackerndes Bewusstsein und eine merkwürdige Blase der Sicherheit, in der es keine Krankheiten, keine Feinde, keinen endgültigen Verlust gibt, sondern den Widerschein des Schreckens. Es gibt hier kein Gefühl von Rettung; vielmehr das Empfinden, dass die Apokalypse jederzeit durch die geschlossene Tür hindurch ins Haus dringt, gefiltert zwar, Widerspiegelung einer Widerspiegelung. Wer ist der „Master oft Desaster“? Vielleicht ist es Plato, der die Täuschung vernichtet, indem er in der trostlosen Höhle das Licht anknipst. Vielleicht aber sind wir Teil einer unbekannten Sprache, deren Programmierung fehlgeleitet ist. Der Text scheint ein Umlernprozess zu sein, streckenweise falsch oder gefälscht, eine vorläufige Abmachung. („Unser Text erweist sich als falsche Fährte“ S. 62).

Eben lese ich die Bücher von Maurice Blanchot und Jean-Luc Nancy über die „entwerkte Gemeinschaft“ und die „uneingestehbare Gemeinschaft“. Der vorliegende Text von Petra Ganglbauer buchstabiert die „Durchsprache“ (S. 58), aber nicht durch Nacht zum Licht führt der Weg, sondern durch Licht zur Nacht, wobei die Autorin punktgenaue Sätze findet („Wir sind andere Nöte. Andere Filme“). Der Text kündet mit seinem permanenten WIR davon, dass wir ein Schicksal haben, deshalb natürlich, weil das Desaster alle betrifft; die Gemeinschaft gibt es, aber es ist die Gemeinschaft derer, die von allen guten Geistern verlassen sind.

Zum zweiten Teil des Buches, DIE VORDERSEITE:

Vorderseite und Rückseite, das erinnert an eine Münze oder an ein Buch; das eine kann nicht ohne das andere sein. Als Leser habe ich das Gefühl, dass im 1. Teil das Blut stockt, im 2. Teil schießt es wieder ein, das Leben bekommt Farbe. Die Katastrophe übt Zwang aus, aber die Natur, die Sicherheit gibt, spendet die Freiheit, wahrzunehmen und die eigene Phantasie in Bewegung zu setzen. Das Ich (denn in der 1. Person sind diese Passagen geschrieben), schafft die Konsistenz, es leitet aus den Sinneswahrnehmungen eine innere Logik ab, die belebt. Das Wetter, die Berge, die gesamte Vegetation, Sonne und Mond, sie alle sprechen zu diesem Ich. In einem Ambiente von Fragen und Antworten keimt Hoffnung auf. Die Erzählerin hat sich in die Natur zurückgezogen. Angekündigt wird hier „…das täglich Kleine. Und Kind.“ (S. 77). Schon daraus lässt sich die Reduktion oder heilsame Regression ableiten, die hier vorherrschend ist. Das ist folgerichtig, denn nach der großen Zerstörung beginnt „das Menschlein“ (es ist im 1. Teil eingeführt worden) wieder von vorne, das Leben beginnt neu. Es ist das Staunen des Kindes UND des Erwachsenen, was einnehmend wirkt; jedenfalls hat es mich als Leser gebannt. Gibt es einen schöneren Satz als den? „Aber der Wald, und wenn er nur aus Bäumen besteht, ist die große Höhe der Seele.“ (S. 83). Perzeption und Apperzeption schaffen den Raum für die Seele, die Betrachterin der Welt stellt eine dialogische Beziehung her; nicht nur sie betrachtet die Welt, sie lässt sich von den Dingen betrachten und ansprechen. Manchmal wird die Natur anthropomorph gedeutet, man kann es als Erwachsenenspiel auffassen, oder als Teil einer heilsamen Regression. Das Hässliche, Abstoßende, Angst Machende, Bedrohliche, Unauflösliche hat hier keinen Platz; trotzdem sind die einzelnen Absätze keine Idyllen. Die Erzählerin ist als Person im Zentrum, ohne andere irgendwie zu verdrängen oder sich wichtig zu machen. Und es gibt die Andeutungen einer Beziehungsgeschichte; sie sind geheimnisvoll, sie sollen so bleiben, sie entstammen dem Geheimnis der Beziehung. Sicher hat die Autorin einen eigenen Zugang zu Wittgensteins Satz: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“ Während im 1. Teil des Buches der Sprachverlust die Katastrophe anzeigt: „Die Sprache entgleitet, alles was ist, ist unverständlich.“- „Alles weg und verloren. Die Sätze, Gesichter der Sprache.“, ist im 2. Teil der Sprachverlust anderer Art: „Ich weiß nichts mehr zu benennen, weil alles ist wie es ist. / Mit den gelöschten Namen schwindet jegliches Vergessen. / Ist alles Existenz.“ Die Rede ist von einem erfüllten Schweigen.

„Permafrost“ ist also kein Bericht von Anfang und Ende, sondern umgekehrt, vom antizipierten Ende und einem immer möglichen Neubeginn.

Gerwalt Brandl

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